Tecindustry Magazin HOCHSENSIBEL TIEF IM BERG

HOCHSENSIBEL TIEF IM BERG

Hochtechnologie statt staubiger Stollen: In Sargans stellt die Espros Photonics AG empfindliche Mikrochips her – teilweise unter Tage. Der Reinraum im Fels schützt die sensible Produktion vor Erschütterungen und Schmutz. Neben historischen Bergwerken werden im Gonzen Märkte von morgen mitentwickelt.

Text: Katharina Rilling, Studio Edit

Wie die Ringe einer Pfütze, in die man einen Kieselstein geworfen hat – so breitet sich Vibration hier im Schwemmland zwischen Rhein und Walensee aus. Der Boden rund um Sargans ist weich und in Bewegung: wenn eine Eisenbahn über Schienen gleitet, wenn ein Lastwagen über Strassen brettert. «Darum sind wir in den Fels gegangen», erklärt Beat De Coi. «Unser Reinraum ist umgeben von massivem Stein. Der Berg Gonzen ist unser Fundament, unsere Fassade, unser Dach. Ein Schutzwall gegen kleinste Erschütterungen.»   

Der CEO der Espros Photonics AG spricht in bunten Bildern. Zum Glück! Er ist es gewohnt, sein komplexes Thema auch Laien verständlich zu machen: die Halbleiterindustrie. Mikrochips. In seinem Fall: für 3D-Kameras. Aber eigentlich kein digitales Gerät kommt heute ohne Chips aus. Sie übernehmen Steuerungs-, Speicher- und Rechenaufgaben. Trotzdem versteht kaum ein Mensch, worum es technisch eigentlich geht.

De Coi ist geduldig: Espros fertige hochempfindliche Mikrochips, die üblicherweise nur 50 Mikrometer dick seien. Auf einem Wafer, einer mit Fotolack beschichteten Siliziumscheibe im Durchmesser von 20 Zentimetern, befänden sich etwa 30'000 einzelne Chips. Die Herstellung eines Wafers koste mehrere Tausend Franken. Um die Chips herauszutrennen, würden Wafer am Ende zersägt. Der ganze Herstellungsprozess sei heikel. Denn: Wafer werden zwischen vielen anderen Schritten über einer Fotomaske mit ultraviolettem Licht belichtet. Die Maske besitzt Strukturen, die nur einige Hundert Nanometer gross sind. Zum Vergleich: Ein Nanometer ist etwa so gross, wie ein Fingernagel pro Sekunde wächst. Diese winzigen Strukturen müssen unverfälscht auf die Siliziumscheibe übertragen werden. Wenn bei diesem Prozess auch nur die kleinste Erschütterung auftritt, «verschmieren» sie. Der Halbleiterchip verliert dann seine Funktion. Man kann es sich denken: Chips  herzustellen, das schafften nur wenige.

Ein wagemutiges Vorhaben

Genau aus diesem Grund ist De Cois Unternehmen entstanden. «Als Elektronikingenieur beschäftige ich mich seit den 1980er-Jahren mit der Sensortechnik. Ich gründete die CEDES AG, wir wuchsen auf 500 Mitarbeitende an, um spezielle optische Sensoren für Lifte zu entwickeln. Viele meiner Ideen konnte ich aber nicht umsetzen, da es schlicht an passenden Halbleiterchips mangelte.» Also nimmt er – es klingt verrückt – das Zepter 2005 selbst in die Hand. De Coi plant, eine eigene Halbleiterfabrik zu bauen. Doch was würde er für solch eine Unternehmung überhaupt brauchen? De Coi recherchiert, liest technische Literatur, vertieft sich in Halbleiterphysik, holt Expertise ein. Die Detailplanung zeigt: Mit rund 160 Millionen Franken Investitionskosten müsse er schon rechnen. Die geplante Fabrik bräuchte dazu die Energie eines Dorfes von zweitausend Einwohnern. Und: Zugang zu grossen Mengen an Kühlwasser. Die Anforderungen sind hoch. Er denkt sich: Im Fels, da müssten wir sein!

Wir dürfen rein

An den Türen sind Warn- und Verbotsschilder angebracht. Nur geschulte Mitarbeitende dürfen die beiden Reinräume betreten. Haube, Mundschutz, Overall, Überschuhe und Handschuhe: In die Luftschleuse geht es nur mit Reinraumkleidung, da bei der Chip-Produktion hochgiftige Gase und Säuren eingesetzt werden. Gleichzeitig ist Disziplin nötig, um Verunreinigungen zu vermeiden. «Selbst Hautschuppen würden den Wafer beschädigen. Dann ist der Wert eines Kleinwagens futsch», so der Inhaber. Für die Produktion braucht es einen Reinraum der Klasse 100. Das heisst: Maximal 100 Staubkörner auf 30 Liter Luft sind in Ordnung. Im Sarganserland hat es normalerweise 100'000 oder mehr Staubkörner auf 30 Liter Luft. Wenn der Föhn das Rheintal hinunterbläst, sind es schon mal bis zu 500'000. Unter Tage schwirren weit weniger herum, was die Filter entlastet. Ein weiterer Vorteil von unterirdischen Räumen: Die Temperatur bleibt relativ stabil. In der Fertigung muss sie auf ein Zehntelgrad und die Luftfeuchtigkeit auf wenige Prozent genau geregelt sein; Tag wie Nacht, Sommer wie Winter. Der Fels hilft also dabei, Energie und Kosten zu sparen.

Ein Stollen von vielen? Bis in die 1960er-Jahre wurde im Gonzen Erz abgebaut. Die Gruben durchlöchern das Massiv mit 90 Kilometern. Diese Höhle aber wurde für Espros aus dem Berg gesprengt. Hier nimmt das Unternehmen Tests vor. (Foto: ©Christian Grund)
Ein Wafer ist mehrere Tausend Franken wert und extrem empfindlich. Auf ihm sind rund 30'000 Chips angeordnet, die später herausgebrochen werden. (Foto: ©Christian Grund)
Die Reinräume sind teilweise in den Fels gebaut, um Staubpartikel, Temperaturschwankungen und Vibration zu reduzieren. (Foto: ©Christian Grund)
In der Endkontrolle wird nochmals getestet. Sind alle Chips fehlerfrei funktionsfähig? (Foto: ©Christian Grund)

Weltweit unerreicht

Die Investitionssumme in die Forschung, die Technologieentwicklung, in die Gebäude und Infrastruktur belief sich  schlussendlich auf rund 100 Millionen Franken. Sie wurde ohne Subventionen vollumfänglich durch private Mittel finanziert. Dafür existiert heute ein Halbleiterhersteller in der Ostschweiz, der eine weltweit einzigartige Technologie sein Eigen nennt.

Man muss wissen: Die meiste Chips nämlich werden in Asien, etwa in Taiwan oder China, hergestellt. Dort ist das Produzieren günstiger. Die Espros Photonics AG aus Sargans ist eine Ausnahme. Die Produktion zu verlagern, das komme aber nicht in Frage. Beat De Coi sagt: «Ich bin Schweizer Unternehmer und überzeugt: Wir können das hier genauso. Mir ist es ein Anliegen, in der Region Arbeitsplätze zu schaffen. Um mithalten zu können, braucht es aber Innovation.» Der Reinraum im Fels ist denn auch patentiert. Und die Technologie von Espros weltweit unerreicht. Das betrifft vor allem, dass die optischen Sensoren, die Chips, fast unabhängig vom Umgebungslicht immer gleich gut funktionieren – sei es in dunkler Nacht oder bei vollem Sonnenschein. Das ist wichtig, denn 3D-Kameras mit Espros-Sensoren sind Tag und Nacht im Einsatz, oft sehr nahe am Menschen: So verleihen sie autonomen Fahrzeugen und Logistikrobotern quasi ihr «Augenlicht», helfen bei der Orientierung. Oder unterstützen bei der nächtlichen Überwachung in Pflegeheimen und Spitälern. Geht da etwas schief, wird es schnell gefährlich.

Was wir entwickelten, hätte ein grosser Konzern niemals gemacht. Die Investitionen wären zu gross gewesen, bei hohem Risiko, dass sie nirgends hinführen. Es brauchte Durchhaltevermögen, Mut und Unternehmergeist.

Beat De Coi, CEO Espros Photonics

Mittels Lichtteilchen, der Photonen, messen die Sensoren Distanzen. Sie erkennen also, wie weit Objekte entfernt sind und wo sie sich im Raum befinden. Einfach gesagt: Braucht ein Photon von der Kamera im autonomen Fahrzeug bis zum Schild auf dem Parkplatz lange hin und zurück, ist die Distanz gross. Braucht das Photon kürzere Zeit, sollte das Auto stoppen, damit es keinen Unfall baut. Das technische Problem dabei ist: Die Photonen des Kamerablitzes sind nicht von denen der Sonne zu unterscheiden. Scheint die Sonne hell, wird die Distanzmessung gestört, weil das gesamte Licht in die Kamera strömt. Wie also filtert man die relevanten Photonen heraus? Das ist das einzigartige Geheimrezept des Unternehmens. «Unser Trick: Wir haben eine Technologie entwickelt, mit der wir Ladungen im Halbleiter manipulieren können. Wir addieren und subtrahieren Photonen und können so immer genau Distanzen messen», sagt der Unternehmer. «Was wir entwickelten, hätte ein grosser Konzern niemals gemacht. Die Investitionen wären zu gross gewesen, bei hohem Risiko, dass sie nirgends hinführen. Es brauchte Durchhaltevermögen, Mut und Unternehmergeist.» Und Visionen: Beat De Coi glaubte schon als Student an autonome Fahrzeuge, als es noch keine Handys gab. Und widmete seine Karriere Märkten, welche die meisten Menschen nur aus Science-Fiction-Filmen kannten.

Wo sieht der Visionär das nächste grosse Ding? «Wir werden den Fachkräftemangel dank Technologie ausgleichen», ist er überzeugt. «Aufgaben in der Betreuung, der Gastronomie oder in den Gemeinden werden wir weiter automatisieren.» Natürlich arbeitet er jetzt schon am riesigen Trend mit: Sensoren mit künstlicher Intelligenz (KI) auszustatten. Mit seiner Technologie können Stürze in Pflegeheimen per 3D-Kamerabild erkannt, mittels KI ausgewertet und ein Alarm ausgelöst werden. Grenzen des Vorstellbaren sprengen – so lebt und denkt Beat De Coi. Auch, wenn es dafür schon mal ein in den Fels gesprengtes Loch braucht. 

NEUER SWISSMEM INDUSTRIESEKTOR

Die Halbleiterindustrie in der Schweiz gewinnt zunehmend an Bedeutung, insbesondere mit zunehmender Digitalisierung sowie vor dem Hintergrund sich ändernder Lieferketten. Um die Interessen der Unternehmen zu bündeln und sie gegenüber der Bevölkerung und Politik zu vertreten, hat Swissmem 2023 den Industriesektor «Semiconductors» gegründet. Die Mitglieder des Industriesektors profitieren von einem breiten Kontaktnetz, Zugang zu potenziellen Kooperationspartnern und gemeinsam koordinierten Auftritten in der Öffentlichkeit.

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Letzte Aktualisierung: 01.11.2023