Tecindustry Magazin Arbeitsplatz der Zukunft

Arbeitsplatz der Zukunft

Das Büro hat sein Monopol als Arbeitsort verloren. Welche Funktion wird es in Zukunft erfüllen und was bedeutet es für die Identität eines Unternehmens, wenn die Leute immer weniger vor Ort sind? Wir haben bei Karin Frick, Trendforscherin beim GDI, nachgefragt.

Das Interview führte Gabriela Schreiber, Swissmem

Karin Frick, hat das Büro irgendwann ausgedient?

In der heutigen traditionellen Form vermutlich schon. Ich kann mir vorstellen, dass kommende Generationen in dreissig Jahren nicht mehr verstehen, wieso man für Computerarbeit gemeinsam in einem Raum sitzt, wenn diese Arbeit genauso gut zu Hause gemacht werden kann und man sich überdies erspart, im überfüllten Zug zu sitzen oder im Stau zu stehen. Wir haben hier eine gewisse Verschwendung von Zeit und auch Geld in Form von Infrastrukturkosten auf Seiten des Arbeitgebers und Transferkosten beim Arbeitnehmer. Aber es spricht einiges dafür, dass das Büro nicht völlig verschwindet, sondern seine Funktion ändert.

Wofür braucht es den gemeinsamen Arbeitsort noch?

Zusammenhalt und Identität entstehen dort, wo Leute sich treffen. Heutige Forschungskenntnisse belegen zudem, dass Teams kreativer sind, wenn sie sich im selben physischen Raum befinden. Während man sich heute zufällig im Vorbeigehen an der Kaffeemaschine treffen kann, wird in Zukunft die gemeinsame Zeit stärker kuratiert werden. Man entscheidet bewusst, für was man im Büro zusammenkommt und gestaltet den Tag entsprechend. Dazu gehört, nebst Brainstorming und Teamwork genügend Zeit für zwangloses, informelles Zusammensein wie beispielsweise Mittagessen einzuplanen.

Ein weiterer wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang sind die Entwicklungen im virtuellen Raum. Die Online-Realität unterscheidet sich immer weniger von der physischen, was sicherlich nochmals zu Verschiebungen führen wird.

Zusammenhalt und Identität entstehen dort, wo Leute sich treffen. Heutige Forschungskenntnisse belegen, dass Teams kreativer sind, wenn sie sich im selben physischen Raum befinden.

Karin Frick, Trendforscherin beim GDI.

Wie stellen Unternehmen die Bindung der Mitarbeitenden sicher, wenn es zu einer wachsenden Entkoppelung von Arbeit und Büropräsenz kommt?

Indem sie dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden stolz darauf sind, bei ihnen zu arbeiten und dies später vielleicht sogar in ihrem CV immer noch gerne hervorheben. Ich verwende hierfür das Bild des «Alumni-Programms». Dahinter steht die Erkenntnis, dass Menschen sich wünschen, Teil einer Organisation zu sein, die etwas bewegt. Innovative Unternehmen, die tolle Produkte herstellen oder Marktführer in ihrem Segment sind, gelingt es auf diese Weise die Bindung der Mitarbeitenden zu stärken – auch über das Arbeitsverhältnis hinaus. Gute Arbeitsbedingungen sind wichtig, greifen aber in diesem Fall zu kurz, weil das Zugehörigkeitsgefühl damit nicht geweckt werden kann.

Wenn Arbeit in wachsendem Mass unabhängig von Zeit und Ort erbracht wird: Was sind die Auswirkungen auf den Mitarbeiter oder die Organisationsstrukturen?

Die Mitarbeitenden müssen sich vermehrt selber organisieren und selbständiger funktionieren. Interessanterweise gibt es aber auch eine Art gegenläufiger Tendenz. Das sieht man beispielsweise gerade bei den Berufsgruppen der Ärztinnen und Ärzte oder den Apothekern. Hier stellen wir eine schwindende Bereitschaft fest, in einem Bereich die gesamte Verantwortung zu tragen. Stattdessen zieht man es vor, Teil eines Systems zu sein. Damit hat man eine gewisse Freiheit innerhalb der gewählten Aufgaben oder des Projekts, gibt aber alles darüber hinaus ab.

Auf der Ebene der Organisationsstrukturen nimmt die Dezentralisierung zu. Tendenziell verwandeln sich Unternehmen – natürlich in unterschiedlichem Masse – hin zu so genannten DAOs, «Dezentralen autonomen Organisationen». Digitale Prozesse und Künstliche Intelligenz ermöglichen und begünstigen diese Entwicklung. Wir werden dadurch vermehrt auf eine subtile Art von der technischen Infrastruktur «geführt», die unsere Arbeitsweise strukturiert.

Wenn im Bürotrakt Lounges mit Sofas und Sesseln für Meetings eingerichtet werden oder in der Betriebskantine nur noch die Leute aus der Produktion essen, weil die anderen im Homeoffice sind, führt das zu einer Spaltung.

Karin Frick, Trendforscherin beim GDI.

Entstehen in einem Unternehmen nicht auch Spannungsfelder, wenn Büroarbeit und Produktion in ihren Möglichkeiten auseinanderdriften?

Absolut. Wenn im Bürotrakt Lounges mit Sofas und Sesseln für Meetings eingerichtet werden oder in der Betriebskantine nur noch die Leute aus der Produktion essen, weil die anderen im Homeoffice sind, haben wir eine gewisse Spaltung. Das ist ein Thema, welches diskutiert wird, für das es aber aktuell keine Lösung gibt. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Arbeit vor Ort nicht unbedingt negativ gesehen wird. Auch ich gehe gerne ins Büro und schätze den Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen.

Wenn immer weniger Bürofläche beansprucht wird, was geschieht dann damit?

Tatsächlich gibt es einen Trend zur Entortung. Das löst potenziell in den nächsten Jahrzehnten eine grosse Flächentransformation aus. Wohin diese Entwicklung geht, ist aber im Moment offen. Das ist sehr spannend, weil hier Experimente stattfinden. Projekte wie Indoor Farming werden diskutiert, denkbar wäre auch, dass die Produktion in die Stadt zurückkommt.

Gibt es übergeordnete Einflussfaktoren, welche die Zukunft des Arbeitsortes beeinflussen werden?

Es gibt zwei starke externe Kräfte. Das ist einmal der Markt, der sich in einem Spannungsverhältnis von Globalisierung und Deglobalisierung bewegt. So sieht man beispielsweise auf LinkedIn, dass Schweizer Unternehmen inzwischen zahlreiche Jobs anbieten, für die der Arbeitsort keine Rolle mehr spielt. Gleichzeitig gewinnt die lokale Wertschöpfung wieder an Bedeutung. Das eine schliesst das andere nicht aus, sie verbinden sich einfach in einem neuen Verhältnis.

Der zweite Faktor ist die ökologische Dimension. Arbeit muss ressourceneffizient und klimafreundlich organisiert werden. Die Umweltkosten werden in Zukunft auch für einen Arbeitsplatz explizit und transparent ausgewiesen werden müssen.

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Letzte Aktualisierung: 26.10.2022