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Energiesystem der Zukunft

Zusammen mit den meisten Staaten der Welt hat sich die Schweiz dazu entschieden, die Verwendung von fossilen Energiequellen deutlich zu reduzieren und ihren Bedarf langfristig mit erneuerbaren Energien zu decken. Die Technologien dazu sind vorhanden. Nun gilt es, deren Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern und die benötigte Infrastruktur auszubauen.

Der Energieverbrauch der Schweiz liegt bei 834'000 TJ pro Jahr (Quelle: Gesamtenergiestatistik BFE 2019). Rund zwei Drittel der Energie stammt aus fossilen Quellen – bis jetzt. Denn mit dem Netto-Null-Ziel 2050 und dem beschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft hat sich die Schweiz, wie die meisten Staaten der Welt, dazu entschieden, künftig ganz auf die erneuerbaren Energien zu setzen. Die notwendige Transformation der Mobilität und unseres Energiesystems ist eine riesige Herausforderung. Und trotzdem: die Dekarbonisierung ist möglich, sagen die Forscher. Zumindest aus technologischer Sicht.

Sektorkopplung als Voraussetzung zum Erfolg

Professor Dr. Markus Friedl leitet das Institut für Energietechnik an der Fachhochschule OST in Rapperswil (IET). Eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Dekarbonisierung – die er im Übrigen lieber als Defossilisierung bezeichnet, da einzelne erneuerbare Energiequellen wie Holz bei der Verbrennung ebenfalls CO2 als Abfallstoff erzeugen – sieht er in der sogenannten Sektorkopplung.

 

Wenn man in der Energiewirtschaft von Sektoren spricht, meint man traditionell drei Bereiche: die Elektrizität, die Wärme- und Kälteversorgung sowie die Mobilität. Diese Sektoren hatten bislang wenig miteinander zu tun. Ob man Radio hörte oder sein Auto auftankte, waren zwei komplett verschiedene Aktivitäten. In Zukunft, so Professor Friedl, werde aber alles viel stärker miteinander zusammenhängen. Die Energie für das Elektroauto werde vom gleichen Stromversorger stammen, der auch den Strom fürs Radio zur Verfügung stelle. Damit wir auf keines von beidem verzichten müssen, braucht es Technologien, die Energien ineinander umwandeln, so dass das Angebot mit dem Bedarf übereinstimmt.  

Ein gutes Beispiel für die Kopplung von zwei Sektoren stellt das Electro Thermal Energy Storage-System, kurz ETES, von MAN Energy Solutions dar. Dieses wurde in Kooperation mit ABB Schweiz entwickelt. Das ETES nimmt überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien auf und wandelt ihn in Wärme oder Kälte um. Diese kann entweder direkt verbraucht oder gespeichert werden. Bei Bedarf - zum Beispiel abends, wenn die Sonne nicht scheint und die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu wenig Strom produziert – kann die gespeicherte Wärme oder Kälte in Strom rückverwandelt und wieder ins Netz eingespeist werden. So können Angebots- und Bedarfsschwankungen ausgeglichen und die Netzstabilität erhöht werden. (Weitere Infos zum ETES)

Ein Mix von Technologien und Energieträger

Im aktuellen Energiesystem der Schweiz macht die Elektrizität lediglich 25% des Energiemix’ aus. Auch dies wird sich ändern, ist sich Professor Markus Friedl sicher: «Man geht davon aus, dass in Zukunft etwa die Hälfte der Energie, die wir beziehen, elektrisch sein wird.» Photovoltaik zum Beispiel habe ein enormes Potenzial. Die Panels würden künftig nicht nur auf den Dächern, sondern auch an den Fassaden von Gebäuden montiert, um noch mehr Strom zu generieren. Die Elektrizität hat zwar eine hohe Energieeffizienz, jedoch aber den Nachteil, dass sie schlecht gespeichert werden kann. So produzieren wir heute im Sommer mittels Photovoltaik mehr Strom, als wir brauchen können. Im Winterhalbjahr sind wir jedoch vermehrt auf Stromimporte angewiesen.

Neben der Möglichkeit, Strom kurzfristig in Form von Wärme oder Kälte – z.B. mittels des oben erwähnten ETES-Systems – zu speichern, kann Strom aus erneuerbaren Energiequellen auch zur Herstellung von Wasserstoff und Methan (Erdgas) verwendet werden. In dieser Form wird Strom über mehrere Monate speicherbar und allfällige Versorgungsengpässe im Winterhalbjahr können abgedeckt werden. Beim Power-to-Gas-Prozess, der für die Herstellung von Methangas verwendet wird, wird Wasser (H2O) zuerst mittels Elektrolyse in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) gespalten und danach mit CO2 in Reaktion gebracht. Einen Wermutstropfen hat das «Power-to-Gas»-Konzept allerdings: Da jeder Prozessschritt energetisch etwas «kostet», liegt der Gesamtwirkungsgrad dieser Art Speicherung bei lediglich 25 bis 35 Prozent, wogegen der Wirkungsgrad von Batteriespeicher bei über 75% liegt. Die «Rückverstromung» ist also vergleichsweise teuer.

Mobilität der Zukunft

 

Dass das zukünftige Energiesystem aus einem Technologiemix besteht, davon ist auch Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der EMPA überzeugt. Im Rahmen der Forschungs- und Technologietransferplattform «move» forscht er an Antriebskonzepten für die Zukunft. Der Verkehr ist in der Schweiz für ca. 40% des CO2-Ausstosses verantwortlich. Diese Emissionen lassen sich am deutlichsten dadurch senken, indem man auf erneuerbare Energien als Antriebsquelle der Fahrzeuge umsteigt. Aber nicht alle Technologien eignen sich für alle Fahrzeugtypen gleich gut. Elektrofahrzeuge, so Christian Bach, seien zum Beispiel für Kurzstrecken und Stadtfahrten geeignet, für längere Distanzen sind dagegen andere Antriebsmethoden zu bevorzugen. Dies hat einerseits mit der begrenzten Speicherkapazität sowie mit der Ladegeschwindigkeit zu tun, andererseits mit der noch ungenügenden Ladeinfrastruktur. Wasserstoff-Fahrzeuge seien wegen ihres hohen Preises indes vor allem dort sinnvoll, wo Fahrzeuge viel fahren und wenig stehen – etwa bei Stadtbussen und grösseren Personenwagen, die als Shuttle-Fahrzeuge oder Taxis dienen sowie bei Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen.

Alle Technologien haben spezifische Vor- und Nachteile. Teilweise – z.B. im Fall einer wachsenden Wasserstoff-Wirtschaft – bringt der Aufbau der notwendigen Leitungs- und Transport-Infrastruktur noch grössere Herausforderungen mit sich. Heute wird Wasserstoff mit LKW’s von der Power-to-Gas-Anlage zu den Verbrauchern – z.B. einer Wasserstoff-Tankstelle transportiert. Werden wir uns dafür die teure Investition in ein neues Leitungssystem leisten? Auch Fragen zur Überwachung und Wartung der Systeme, zu regulatorischen Aspekten sowie nötiger Software und Beratungskompetenz sind gemäss Friedl noch nicht vollständig geklärt. Und dennoch sei es wichtig, jetzt aktiv zu werden und das zukünftige Energiesystem der Schweiz mitzugestalten. Wer sich jetzt aktiv engagiert, findet auch Geschäftsopportunitäten und kann auf politischer und regulatorischer Ebene mitbestimmen.

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Letzte Aktualisierung: 05.11.2020