Interview: Philippe D. Monnier
Trotz verschiedener Herausforderungen verzeichnete Pilatus 2024 mit einem Umsatzwachstum von über zehn Prozent ein sehr gutes Jahr. In seinem Hauptsitz in Stans (NW) empfing CEO Markus Bucher Tecindustry zu einem ausführlichen Interview über seine Strategie, Chancen und Herausforderungen.
Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen in der Schweiz, insbesondere in der Zentralschweiz, und deren Entwicklung?
In der Zentralschweiz herrscht eine sehr gute Unternehmenskultur. Unsere Arbeitskräfte sind hochqualifiziert – das ist ein grosser Vorteil und letztlich die Grundlage unseres Unternehmenserfolgs.
Weniger positiv entwickelt sich die Verkehrssituation, insbesondere wegen des Bevölkerungswachstums und des stetig zunehmenden Fernverkehrs. Für viele unserer Mitarbeitenden, die in Luzern wohnen, sind die Strassen täglich überlastet. Leider sind wir in der Schweiz zu bürokratisch, um rasch wirksame Lösungen umzusetzen. Auch der Wohnungsbau ist kritisch: Es gibt zu wenige Wohnungen in der Nähe unseres Hauptsitzes. Kurzfristig sehe ich keine Lösung, da unsere Baugesetze und die Bauverordnungen zu den kompliziertesten in ganz Europa zählen. All dies erschwert es uns, Mitarbeitende zu halten. Wenn Wohnungsmangel und täglicher Pendlerstress Kündigungsgründe werden, ist das ein alarmierendes Signal.
Alle Ihre Aktionäre sind Schweizer. Wird dies auf den Märkten als Vorteil wahrgenommen, beispielsweise aufgrund der Neutralität der Schweiz?
Es geht weniger um die Wahrnehmung durch die Märkte. Viel entscheidender ist, dass die Schweizer Aktionäre unser Unternehmen positiv prägen. Wir sind extrem stolz darauf, dass unser Aktionariat bodenständig ist, sich der Schweiz verpflichtet fühlt und bereit ist, das für unser Wachstum notwendige Risikokapital bereitzustellen. Dank der Nähe zu unseren Aktionären können wir auch schnell und unbürokratisch Entscheidungen treffen.
Was sind Ihre grössten Herausforderungen und Chancen?
Was die Chancen betrifft: Erstens bedienen wir seit über zehn Jahren ein unglaublich dynamisch wachsendes Marktsegment der Business Aviation – trotz Corona. Die Nachfrage übersteigt dort weiterhin das Angebot. Zweitens beobachten wir im Segment der militärischen Trainingsflugzeuge aufgrund der geopolitischen Lage weltweit eine wachsende Nachfrage. Insbesondere haben wir einen sehr guten Zugang zu Kunden innerhalb der EU. In diesem Zusammenhang ist eine stabile, vertraglich abgesicherte Beziehung zwischen der Schweiz und der EU absolut prioritär.
Wir müssen unseren Eigenfertigungsanteil erhöhen, um Qualität, Innovation und Präzision sicherzustellen.
Und die Herausforderungen?
Die Lieferketten funktionieren seit Corona nicht mehr zuverlässig – weder qualitativ noch mengenmässig. Daher müssen wir unseren Eigenfertigungsanteil von derzeit rund 25% auf fast 50% erhöhen, um Qualität, Innovation und Präzision sicherzustellen. Wir expandieren gezielt in unsere Absatzmärkte. Deshalb gehen wir ins Ausland, zum Beispiel mit einer neuen Tochtergesellschaft in Spanien. Diese könnte im Fall einer ausbleibenden Lösung mit der EU auch strategisch wichtig werden.
Ein weiteres grosses Thema ist der schwache US-Dollar. Da die gesamte Business Aviation in Dollar abgewickelt wird, trifft uns das hart. Die US-Zollpolitik ist zwar ebenfalls herausfordernd, aber nicht so brisant wie Währungsprobleme und Produktionsstörungen. Glücklicherweise haben wir rechtzeitig vor der zweiten Trump-Administration eine US-Strategie entwickelt. Heute beschäftigen wir knapp 400 Mitarbeitende in den USA, haben dort zwei Firmen übernommen und bauen neue Infrastruktur auf. Wenn nötig, könnten wir in den USA für den US-Markt produzieren – allerdings nicht vor fünf bis zehn Jahren, da unsere Produkte sehr komplex sind.
Viele Firmen outsourcen mehr und mehr, aber Sie machen genau das Gegenteil. Sind Ihre Stückzahlen für Lieferanten zu klein?
Genau. Mit rund 150 bis 200 Flugzeugen pro Jahr, verteilt auf vier verschiedene Modelle, sind unsere Stückzahlen sehr gering. Besonders nach Corona haben einige wichtige Lieferanten entschieden, nicht mehr für unsere Industrie zu produzieren. Deshalb ist die Erhöhung unseres Eigenfertigungsanteils eine vernünftige und notwendige Strategie.
Verfügt die (Zentral-)Schweiz über eine kritische Masse an Aviatik-Zulieferern?
In der Aviatik befinden sich die meisten Zulieferer in den USA und Kanada – in der Schweiz gibt es nur wenige. Dafür haben wir in anderen Bereichen zahlreiche Schweizer Lieferanten zum Beispiel im Infrastruktur-Bereich, die eine enorme Wertschöpfung leisten. Auch viel Innovation entsteht in Zusammenarbeit mit Partnern wie der ETH Zürich und verschiedenen Fachhochschulen.
Ist ein Teilbörsengang eine Option, um Ihr Wachstum zu finanzieren und in bestimmten Zielmärkten sichtbarer zu werden?
Absolut nicht. Einmal im Jahr findet ein Meeting mit allen Führungskräften, der Geschäftsleitung, dem Verwaltungsrat und den Eigentümern statt. Sie können sich kaum vorstellen, wie viel Motivation und Energie dieses jährliche Treffen freisetzt. Jeder kann dort direkt mit den Eigentümern sprechen. Als nicht börsennotiertes Unternehmen ist diese Struktur eine grosse Stärke von Pilatus. Ausserdem ist Pilatus in einem zyklischen Geschäft tätig und Neuentwicklungen sind risikobehaftet. Solche Merkmale sind wenig geeignet für investorengetriebene Quartalsberichterstattung.
Ist es Ihre Strategie, Nischenmärkte anzusprechen?
Das ist korrekt. In der zivilen Aviatik gibt es drei grosse Marktsegmente: International Aviation, Regional Aviation und Business Aviation. Letzteres – unser Segment – ist eine Nische mit einem Volumen von 25 bis 30 Milliarden Dollar pro Jahr. Für die beiden erstgenannten Marktsegmente wären die Schweizer Kosten ohnehin zu hoch, und Serienproduktion dieser Art wäre für unsere Mitarbeitenden nicht besonders attraktiv.
Wer sind Ihre wichtigsten Konkurrenten?
Heute sind unsere Hauptkonkurrenten in den USA und in Brasilien angesiedelt. Aber übermorgen werden sicher auch chinesische und indische Firmen in diesen Markt eintreten.
In welchen Ländern oder Regionen sehen Sie Ihre wichtigsten Expansionsmöglichkeiten?
Heute lässt sich unser Markt wie folgt aufteilen: 40% USA, 30% Europa, 30% Rest der Welt. Anfang der 1990er-Jahre konnte in Amerika kaum jemand den Namen Pilatus aussprechen – heute entfallen 9% aller Business-Aviation-Flüge in den USA auf unsere fast 2'000 Flugzeuge, die dort betrieben werden. In diesem Markt sehen wir weiterhin enormes Wachstumspotenzial. Wir befassen uns mit einer Asienstrategie und analysieren diesen Markt derzeit im Detail. Wir betrachten ihn als Chance, nicht als Bedrohung.
Es wird zunehmend schwieriger, genügend Fachkräfte mit aviatischem Hintergrund zu finden. Das ist einer der Gründe, warum wir im Ausland wachsen wollen.
Die überwiegende Mehrheit Ihrer Mitarbeitenden ist in der Schweiz beschäftigt, insbesondere in der Produktion. Sehen Sie hier Veränderungen?
Heute beschäftigen wir in der Schweiz über 3'000 Vollzeitmitarbeitende. Doch es wird zunehmend schwieriger, genügend Fachkräfte mit aviatischem Hintergrund zu finden. Das ist einer der Gründe, warum wir im Ausland wachsen wollen. Ein noch gewichtigerer Grund ist, dass es für unsere internationalen Kunden und Stakeholder nicht mehr akzeptabel ist, dass alles ausschliesslich in der Schweiz geschieht.
Unternehmerisch gesehen wollen wir in den wichtigsten Absatzmärkten präsent sein – als Arbeitgeber, als Steuerzahler und als Anbieter, der lokal entwickelt, produziert, montiert und verkauft. Vor fünf Jahren arbeiteten rund 90% unserer Mitarbeitenden in der Schweiz, heute sind es etwa 80%, und in fünf bis zehn Jahren werden es wahrscheinlich nur noch 60% sein.
Wie gewährleisten Sie die Wartung Ihrer Flugzeuge, insbesondere jener, die sich in Ländern weit entfernt von Stans und Ihren Tochtergesellschaften befinden? Ist die Wartung inklusive des Verkaufs von Ersatzteilen besonders profitabel?
Im Gegensatz zur Automobilindustrie, in der Elektrofahrzeuge zunehmend weniger Wartung benötigen, gilt das für die Luftfahrt nicht. Elektroflugzeuge, die 2’000 Kilometer oder mehr zurücklegen können, sind keine kurzfristige Realität.
Die Wartung unserer Flugzeuge wird weltweit von rund 60 exklusiven Partnern übernommen, die jeweils auch ein definiertes Vertriebsgebiet haben. Unser Fokus liegt derzeit darauf, die Servicequalität, das Produktwissen und die Kundenerfahrung dieser Partner weiter zu verbessern. Wartung ist zwar grundsätzlich profitabel, aber unser Hauptziel ist es, den Kundennutzen zu maximieren. Dazu gehört auch, dass unsere Wartungspartner wirtschaftlich erfolgreich arbeiten können.
Natürlich setzen wir zunehmend auch KI ein. Die Schweiz ist in diesem Bereich ein echtes Eldorado. Unsere Partner – wie die ETH und Fachhochschulen – verfügen über enormes Know-how.
Welche Bedeutung hat künstliche Intelligenz (KI) für Pilatus?
Bevor man über künstliche Intelligenz spricht, muss man über Digitalisierung sprechen. In unserer Branche gibt es noch viele Unternehmen, die ihre Prozesse und Produkte nicht vollständig digitalisiert haben – besonders in der Supply Chain.
Bei Pilatus haben wir im letzten Jahr die neuste Version von SAP eingeführt. Natürlich setzen wir zunehmend auch KI ein. Die Schweiz ist in diesem Bereich ein echtes Eldorado. Unsere Partner – wie die ETH Zürich und Fachhochschulen wie die ZHAW – verfügen über enormes Know-how. Viele ihrer Ideen können wir gemeinsam in der Praxis umsetzen. In Zukunft glauben wir, zuerst monotone Aufgaben wie Reinigung oder Schleifarbeiten durch Robotik zu ersetzen.
Wichtig ist: Um Innovation und KI zu fördern, braucht es nicht nur Top-Universitäten, sondern auch produzierende Unternehmen wie Pilatus, die Anwendungen realisieren. Deshalb muss das Unternehmertum in der Schweiz gestärkt werden – und die Kritiker sollte erkennen, dass es die Basis unseres Wohlstands ist.
Jede Firma spricht von Nachhaltigkeit. Sind Ihre Kunden bereit, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen?
Wir wollen nicht, dass unsere Kunden für Nachhaltigkeit mehr bezahlen müssen. Unsere Nachhaltigkeitsziele – z.B. bis 2050 CO₂-neutral zu operieren – haben wir uns selbst gesetzt. Diese Ziele sind auch wichtig, um die besten Talente der Generation Z anzuziehen.
Etwa 99% unseres CO₂-Fussabdrucks stammen von den rund 3'000 Pilatus-Flugzeugen, die weltweit täglich unterwegs sind. Deshalb haben wir in das Schweizer Start-up Synhelion investiert, das Solartreibstoff entwickelt. Diese junge Firma braucht viel Kapital, um zu skalieren – und wir wollen aktiv zu dieser Transformation beitragen.
Noch fünf kurze Fragen
Woran denken Sie als Erstes, wenn Sie morgens aufwachen? Ich bin dankbar, dass ich gesund bin.
Was war Ihre grösste Freude als Führungsperson? Meine Kolleginnen und Kollegen zu begeistern und zu inspirieren – damit wir gemeinsam Innovationen und Erfolge realisieren können.
Was war Ihr grösster Frust als Führungsperson? Absolut keiner.
Was tun Sie als Ausgleich zur Arbeit? Vor allem Zeit mit der Familie. Daneben Sport – zum Beispiel Golf – sowie Kochen und Weinverkostung.
Was möchten Sie einem jungen Nachwuchstalent mit auf den Weg geben? Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, sich durchzubeissen, sind entscheidend, um im Leben etwas zu erreichen.
Steckbrief von Markus Bucher
- Seit 2013 CEO von Pilatus. Ins Unternehmen eingetreten ist er 1986.
- Ausbildung: gelernter Landmaschinenmechaniker und studierter Betriebswirtschafter
- Schweizer Bürger mit Wohnsitz im Kanton Luzern.
Pilatus: Kennzahlen
- Umsatz (2024) : CHF 1.6 Milliarden
- Anzahl hergestellte Flugzeuge (2024): 153
- Betriebsergebnis (2024) : CHF 243 Millionen
- Anzahl Vollbeschäftigte (Ende 2024): 3326