Andrea Orzati, der diesjährige Physik-Nobelpreis wurde im Bereich der Quantenphysik vergeben. Wie haben Sie auf diese Auszeichnung reagiert?
Wir hatten gerade ein allgemeines Mitarbeitenden-Meeting bei uns im Haus, als die Nachricht kam. Die Freude war gross. Diese Experimente und Erfindungen, die vor etwa 40 Jahren durchgeführt wurden, bilden die Grundlage für die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Supraleitung und des Quantencomputings. Ohne diese Grundlagen wären die heutigen Entwicklungen entweder gar nicht erst möglich gewesen oder sie hätten sich massiv verzögert. Es war ein klares Zeichen, dass das gesamte Feld an einer neuen Schwelle steht.
Sie spüren also eine neue Dynamik. Wo genau steht das Quantencomputing im Moment?
Es ist ein Bereich, in den aktuell sehr viel investiert wird, da das Potenzial des Quantencomputers enorm ist. Man merkt, dass die Technologie sukzessive Probleme löst und uns dies eine Art «Line-of-Sight» auf ein wirklich wertvolles Quanten-System ermöglicht. Im Laufe meiner Karriere durfte ich bereits Boom-Phasen in den Bereichen Geotargeting und Mikrosensorik erleben. Das Gefühl ist heute ähnlich: Es gibt viel Geld, grosse Erwartungen, viel Innovation und viele Akteure, die eine Rolle spielen wollen – entweder als Hersteller von Quantencomputern oder als Zulieferer.
Wir schreiben die Partitur, die dann im Quantensystem abgespielt wird.
Wo liegt der Hauptunterschied zu früheren Technologie-Booms?
Beim Quanten-Computing ist es der Industrie im Moment noch nicht gelungen, nachhaltigen Wert zu generieren. Es ist wie bei der Kernfusion: Erst wenn mehr Energie generiert wird, als hineingesteckt wird, hat es einen Wert. Beim Quantencomputing muss man in der Lage sein, Probleme zu lösen, die einen Mehrwert gegenüber klassischen Computern bieten. Das haben wir allgemein noch nicht erreicht.
Wo liegen die Stärken von Zurich Instruments, um diese Herausforderungen zu meistern?
Unsere Kompetenzen sind breit gefächert. Erstens haben wir sehr tiefe wissenschaftliche Wurzeln und ein vielschichtiges Netzwerk in der akademischen Welt. Bei uns arbeiten Wissenschaftler für Wissenschaftler. Unsere Mitarbeitenden, die unsere Produkte definieren, entwickeln und unsere Kunden betreuen, sind oft selbst Leute, die vor wenigen Jahren noch Quantencomputer gebaut oder in der Forschung gearbeitet haben. Dieses tiefe Verständnis der Endanwendungen ist entscheidend. Es zeigt uns, was genau zu tun ist. Zweitens kommt die klassische Schweizer oder mitteleuropäische Stärke zum Tragen: Wir sind gut positioniert, um komplexe, langwierige und schwierige Probleme zu lösen, die über die reine «Blueprint»-Implementierung hinausgehen. Die Technologie ist extrem komplex. Es müssen viele Rollen zusammenkommen – von der Hardware bis zur Software.
Welche sind die grössten technischen Herausforderungen aus Ingenieurssicht?
Die Innovation bei der Signalanalyse und -generierung wird sich entlang zweier Hauptdimensionen bewegen: Einerseits müssen wir die jetzigen Systeme besser skalieren können. Dafür sind Innovationen in der Architektur, der Software und der Schaltungstechnik notwendig. Es ist nicht möglich, einfach «Copy and Paste» auf Basis des Bestehenden zu machen, wenn so am Schluss ein Gebäude voller Elektronik und ein Atomkraftwerk für die Energieversorgung benötigt würden. Andererseits müssen wir die Übersetzung der Algorithmen und die Fehlerkorrektur weiter verbessern. Unsere Aufgabe ist es, das Abspielen der High-Level-Algorithmen zu ermöglichen. Wir schreiben sozusagen die Partitur, die dann im Quantensystem abgespielt wird. Je grösser die Systeme werden, desto komplexer wird die Orchestrierung. Vereinfacht gesagt, messen und generieren wir Signale und führen zusätzlich Quantenfehlerkorrekturen durch. All dies muss in einer extrem kurzen Zeitspanne geschehen, bevor ein Qubit seine quantenmechanischen Eigenschaften verliert. Dieser synchronisierte Steuerungsteil mit ultrakurzen Reaktionszeiten ist essenziell für die Performance.
Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Wir beobachten, dass an verschiedenen Orten ein Übergang von den Physikern zu den Ingenieuren stattfindet. Das ist in solchen High-Tech-Bereichen häufig der Fall. Viele der wichtigen Grundlagen sind bereits geschaffen. Jetzt wird zunehmend an der Optimierung gearbeitet. Dieser Prozess wird meiner Meinung nach noch etwa zehn Jahre andauern. Letztlich schreiten aber beide Bereiche voran. Für uns als Unternehmen liegt die Herausforderung darin, sowohl die Grundlagenforschung als auch die Umsetzung zu unterstützen. Hierfür ist für uns eine Fokussierung auf spezialisierte Wissens- und Anwendungsbereiche notwendig.
Das Thema Quantencomputing ist global ausgerichtet. Spielt die Schweiz als Standort dabei überhaupt eine Rolle?
Der Markt ist sehr international, daher muss man auch weltweit agieren. Das Schweizer Ökosystem – die Forschung, die Start-ups, das allgemeine Niveau – ist sehr gut ausgebaut. Die Schweiz spielt daher eine prominente Rolle in dieser Quantenwelt. Wir erkennen jedoch, dass Quantencomputing für viele Länder zu einem strategischen und sicherheitspolitischen Thema geworden ist. Derzeit gibt es viele staatliche Initiativen. Deutschland möchte nicht von aussereuropäischen Herstellern abhängig werden, sondern die eigene Industrie fördern. Die Amerikaner unterstützen ihre Firmen, die Chinesen sowieso.
Was wäre zu tun?
Die Vision eines Schweizer Quantencomputers würde der hiesigen Industrie sicherlich einen Schub verleihen. Es wäre ein starkes Zeichen gegenüber Schweizer Technologiefirmen und würde die Attraktivität für Studierende und Forschende nochmals erhöhen. Im Bereich der KI-Systeme haben solche Umsetzungen bereits stattgefunden. Warum also nicht auch beim Quantencomputing? Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sehen sich Schweizer Unternehmen veranlasst, im Ausland Niederlassungen zu gründen. Ein gemeinsamer Stimulus von Hochschulen und Industrie könnte dabei helfen, Wissen im Land zu halten und dieses weiter auszubauen.
Wie nehmen Sie aktuell das politische Umfeld wahr?
Die tarifären Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU stellen für viele Unternehmen eine grosse Herausforderung dar. Auch für uns, obwohl wir dank unseres deutschen Mutterhauses Rohde & Schwarz eine gewisse Flexibilität haben. Für den Standort Schweiz ist es wichtig, dass er in die internationale Forschungswelt integriert ist und daher auch bei EU-Programmen wie Horizon mitmachen kann. Wir brauchen Fachspezialisten aus aller Welt und sind daher auch auf geregelte Beziehungen mit der EU angewiesen.
Was fasziniert Sie persönlich an Ihrer Arbeit?
Ich durfte während meiner Karriere in verschiedenen wachstumsorientierten Firmen arbeiten. Was mich am meisten begeistert, ist der Punkt, an dem ganz neue Technologien mit dem Markt zusammenkommen. Das ist meine Leidenschaft. Beim Quantencomputing stehen wir im Moment auch an dieser Stelle. Mit den Kolleginnen und Kollegen im Team Wachstum zu generieren und zu managen, das ist extrem lohnend.
Über Zurich Instruments
Das Unternehmen Zurich Instruments wurde 2008 als Spin-off der ETH Zürich gegründet und hat sich schnell einen Namen als Innovationstreiberin gemacht. Kern des Portfolios sind Hightech-Geräte wie Lock-in-Verstärker sowie Mess-, Kontroll- und Steuerungssysteme für das Quantencomputing. Die Produkte von Zurich Instruments sind dafür konzipiert, die Komplexität von Forschungslabors zu reduzieren und kommen in zukunftsweisenden Feldern wie Nanophysik, Quantentechnologien und Rasterelektronenmikroskopie zum Einsatz. Eine Kernphilosophie des Unternehmens lautet denn auch «Scientists for Scientists». Seit Juli 2021 ist Zurich Instruments eine Tochtergesellschaft des deutschen Technologiekonzerns Rohde & Schwarz. Das Unternehmen beschäftigt im Technopark in Zürich rund 150 Mitarbeitende und rund 40 weitere an weltweiten Standorten.
